Das Kriegsende des 2.Weltkriegs in Kohlscheid
Aufzeichnungen von Pfarrer Andreas Backes
In den letzten Jahren erschienen in zwangloser Folge die Aufzeichnungen des verstorbenen Pfarrers Andreas Backes über das Kriegsende und den Wiederaufbau nach dem 2, Weltkrieg. Veröffentlicht wurden sie im Pfarrblatt der Pfarre St. Katharina durch Pfarrer Karl Franken. Die einzelnen Fortsetzungen mußten aus finanziellen Überlegungen im Originalsatz nachgedruckt werden, um sie einem interessierten Personenkreis zugänglich zu machen.
Kohlscheid, im Juni 1969
Die letzten Tage des tausendjährigen Reiches in Kohlscheid
Der unverhältnismäßig warme August des Jahres 1944 neigt sich seinem Ende zu. Die Invasionsfront rückt bedrohlich näher und die Sirenen kommen kaum zur Ruhe. Doch scheint Kohlscheid die feindlichen Flieger nicht zu interessieren, wahrscheinlich schützt die Zeche. Samstag, 2. September, kurz vor dem Beichtstuhl, Befehl zur Räumung des Pfarrheimes für die H. J., welche Schanzarbeiten durchführen sollte. Mit Kindern und Männern wird das Heim leergetragen bis auf einen Schreibtisch. Die Kirmes, sonst am 1. Septembersonntag fällig, wird durch Wind und Regen ersetzt. Auf dem Konveniat in Bardenberg beschlossen die Pfarrer auf alle Fälle zu bleiben, komme, was da komme. Es war die letzte Zusammenkunft in dieser Zeit. Ein Versprengter taucht auf und seine Berichte zeigen deutlich genug den Zustand des deutschen Heeres, und er selber war die beste Illustration für das, was er sagte. Der Gottesdienst geht weiter und Andächtige sind genug anwesend. Beim Krankenbesuch am Herz-Jesu-Freitag wird eine kaum erwartete Unruhe unter den Leuten bemerkbar, die in den Türen und auf der Straße heftig gestikulierend aufeinander einsprechen. Der berüchtigte Zettel, der das Verhalten bei der Räumung angibt, flattert in die Häuser. Das Gespenst, das schon einmal die Gemüter verwirrt hatte, nimmt drohende Gestalt an. Der Schrecken nimmt zu, als die Insassen des Altersheimes zu bereitstehenden Zügen auf Wagen abtransportiert wurden. Ein erschütternder Zug des Elendes. Als stete Begleitmusik das ferne Grollen der Geschütze und das sich überstürzende Aufheulen der Sirenen. Der Beichtstuhl ist an diesem Samstag sehr lebhaft. Der Sonntag bringt neue Unruhen. Die H. J. rückt in 8 Tagen wieder ab, an ihre Stelle kommen Männer aus der Bonner Gegend. Diese sollten nun die Schanzarbeiten übernehmen, unter ihnen auch der Orgelbaumeister Klais. Er findet sich mit 2 Freunden zu einer «freien» Aussprache und einem Glas Wein im Pfarrhaus ein, und bleibt auch zur Nacht. Besser auf einem Speicherzimmer allein und im Bett, als zu Haufen in einem Saal auf Stroh. Am Montag nimmt Direktor W. Aschke die Geräte der Kirche in Gewahrsam des Bergwerkes, wo sie vor Beschuß und Diebstahl sicher sind. Bei dem abendlichen Besuch bei dem Direktor fallt das Stichwort «Siegfried», das bedeutet: sofortiges Ausfahren der Bergleute und Abtransport der Frauen und Kinder jenseits der Höckerlinie.
Am Dienstag kommt das Gerücht auf: «Aachen wird geräumt», und allerhand andere und sich widersprechende folgen nach. Man weiß nicht ein noch aus. Fremde S. A. treibt das Vieh von Horbach weg, niemand darf bleiben, sonst wird er als Dieb betrachtet. Nach schwerer Kanonade in der Nacht kommen die Bauern von Orsbach. Ein N. S.-Lehrer führt den Treck. Eine Stafette von Berensberg meldet: «Es wird nicht geräumt,» General Schwerin-Krossigk hat die Parole herausgegeben, die Pfarrer Zohren mit zwei Unteroffizieren von Haus zu Haus weitergibt. Ein Besuch in Berensberg bestätigt die Richtigkeit der Verlautbarung. Man hängt dauernd am Telefon, jeder möchte das Neueste erfahren. Die Nazis geben Gegenparolen heraus. Gegen 2 Uhr verlassen die stolzen Gebieter den Ort, nicht ohne Cognac mitzunehmen und sich reichlichst mit Butter und Aufschnitt versorgt zu haben. Allgemeine Heiterkeit begleitet den feigen Abzug, der alte Gruß, ist wieder auf den Lippen. Die Leute stehen, munter plaudernd, auf den Straßen. Dagegen ist der Sirene die Luft ausgegangen, sie schweigt. Am Donnerstag werden wir von der Außenwelt abgeschlossen, da auch das Telefon aussetzt. (Es ist für das Pfarramt erst 1948 wieder in Gang gekommen.) Plötzlich bleibt auch das Trinkwasser aus, nur tropfenweise kommt es an tiefergelegene Stellen. Regensärge werden zur Aufnahme des Wassers gereinigt und wieder in Stand gesetzt. Im Pfarrhaus sind die Zuflüsse verstopft. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel wirkt die Hiobspost, die Braunen sind wieder da. Höhere Stellen haben die Helden wieder zurückgeschickt, die dann nur abends sich in Sicherheit bringen. Versuche, die Reifen ihrer Wagen anzubohren, schlugen fehl. Den freiwilligen Räumern sind zwei Extrazüge versprochen, doch die Gläubigen sehen nur leere Schienen. Vorläufig soll alles noch freiwillig geschehen, aber dadurch wird nicht viel erreicht. Bald kommen Zettel in die Häuser, welche die sofortige und restlose Räumung befehlen. Diese wirken am meisten bei den Geschäftsleuten, sie verlieren die Nerven und verkaufen frei. Nun verliert die Bevölkerung immermehr die Möglichkeit, sich zu verproviantieren. Inzwischen hat das Gerücht von der Freigabe aller möglichen Sachen die Leute prozessionsweise nach Aachen gelockt. Meistens brachten sie Wein und Kokosfett aus der Fabrik «Trumpf» mit. Dabei kracht es schon ganz erheblich. Die Räumung geht nicht nach Wunsch der Partei voran, kaum einer, der freiwillig gehen will. Nun soll die Wehrmacht die Angelegenheit regeln; sie verteilt Drucksachen, die über den Ernst des Räumungsbefehls keinen im Unklaren lassen. Der Beichtstuhl wird erst lebhaft, als die Nazibonzen und ihre Schergen fort sind. In der Nacht zum Sonntag die ersten Einschläge an der Meßdienersakristei.
Wir schreiben Sonntag, den 16. September. Holländische Sirenen künden Fliegertätigkeit; sie stören jedoch nicht unseren Kirchendienst, aber die Kirche füllt sich erst langsam. Die Lage wird für uns günstig, d. h. zu einem schnellen Ende hinsteuemd, aber durchaus ernst. Regen fällt in Strömen. Der Pfarrer richtet sich mit seinen Hausgenossen im Heizungskeller der Kirche ein, da er heizbar ist. Dort lassen sie den Beschuß über sich ergehen. Noch deckt der Turm den Schlupfwinkel, Parolen tauchen auf mit jeder Stunde. Ein Lautsprecherwagen verkündet den Befehl des „Führers“: Zwangsräumung! SA und grüne Polizei marschieren auf, sie beginnen, die Häuser nach Menschen zu untersuchen, die Türen bleiben verschlossen. Noch immer soll das Gehen und Bleiben gerüchteweise freistehen, ja die Räumung widerrufen sein. Ängstliche Seelen sind mürbe geworden und lassen sich in Autos verladen. Der Beschuß liegt schon so nahe, daß die Gartenarbeit unterbrochen wird. Inzwischen geht die Räumung weiter. Der Sprechwagen plärrt seinen Befehl in leere Straßen. In der Nähe feuert ein deutsches Geschütz in dauerndem Stellungswechsel, das könnte den «Segen» der Gegenseite nach sich ziehen. In Klinkheide offener Widerstand. Auf die sich versteckenden Leute wird geschossen, Militär greift ein und nimmt Partei für die Zivilisten. Der Abendregen treibt in die Keller, die Ruhe ins reguläre Bett. Die Schwestern der Verwahrschule bringen das Ciborium mit den sacrae species (hl. Hostien). Pfarrer Thome erklärt bei einem Besuch, daß sie den Gottesdienst schon eingestellt hätten, um die Leute nicht zu gefährden. Fliegerbomben, ein kräftiges Arifeuer, das uns zeitweilig in den Keller zwingt. Samstag, den 24. September. Begräbnis und Excquien, dabei wird der Ausfall des Gottesdienstes und die Einschränkung der Besucherzahl angekündigt. In Klinkheide hat die Razzia schon Erfolg, Die ersten Stücke von gefallenem Vieh werden gebracht. Am Mittag ein Versehgang durch die leeren Straßen bei heftigem Arifeuer. Am Beichtstuhl ist kein Mensch zu sehen. Plötzlich ein schwerer Einschlag, das Licht geht aus, die Kesselanlage der Zeche ist getroffen, man hört das Zischen des ausströmenden Dampfes. Jetzt sind wir auch in die Finsternis geworfen. Bei dieser Lage getrauen wir uns nicht mehr in die Betten das Hauses, sondern suchen unsere Zuflucht im Heizungskeller. Ein zweimaliger Feuerüberfall bringt mehr Einschläge. Am Sonntagmorgen kommen noch einige Leute in die Sakristei. Das Bombardement hat gewirkt. Einschläge in der Südstraße und auf dem Markt. Am Pfarrhaus nur einige Scheiben zerstört, die mit Pappe geflickt werden. Ein Ofen wird in den Heizungskeller geschafft, der Heiz- und Kochgelegenheit bietet, denn das Regenwetter bringt kühle Temperatur mit sich.
Nun werden auch wir aufgefordert zu räumen, und man schildert die Schrecken des Krieges in schrecklichen Farben. Der Pfarrer konnte ihnen sagen, daß diese ihm schon bekannt waren, als sie noch in den Windeln gelegen. Man ließ uns in Ruhe. Der Rendant kommt zu berichten, was bleiben kann. Schwestern sollten draufgehen, der Klerus wahrscheinlich auch, daher wohl die Großmut, uns nicht mehr zu behelligen. Am Montag die letzten Exequien. Fräulein F., die sich als Rote-Kreuz-Schwester frei bewegen kann, bringt die Nachricht: Kein Arzt, keine Hebamme soll bleiben; keine Möglichkeit soll gegeben sein, Verwundete zu transportieren. Im Elend noch eine Stufe tiefer. Alles unsicher, alles im Fluß, kein fester Boden mehr unter den Füßen. Nochmals wandere ich zum Friedhof. 4 Leichen ohne Sarg liegen in der Halle. Das regnerische Wetter wird klar und bringt erneute Fliegertätigkeit ohne Abwürfe. Dem ruhigen Morgen folgt ein sehr unruhiger Nachmittag, der oft in Deckung zu gehen zwang, auch am Abend war das Arifeuer sehr lebhaft. Es ist Donnerstag. Verluste werden aus Pannesheide gemeldet. Stellwerk und Gleise sind gesprengt. Auf dem Weg zum Friedhof begegnen mir am Freitag Panzer-Jäger in aufgelösten Marschkolonnen, die sich in den Häusern verstecken müssen und sich nicht sehenlassen dürfen. Auch in der Küche des Pfarrhauses haben es sich einige gemütlich gemacht und.studieren die Handhabung einer Panzerfaust, die sie zum ersten Male in den Händen hatten. Rotwein belebt ihren Mut, aber nicht gerade kampfesfroh ziehen sie in der Dunkelheit wieder ab. Samstag, den 30. Gewöhnlich verschärft sich die Lage mit jedem Wochenende. Zur heiligen Messe haben sich mehr Gläubige eingefunden, da die Geschütze schweigen. Darum lockt ein Mittagsschläfchen in den Heizungskeller. Zwei gewaltige Detonationen wecken unsanft. Auch der Keller füllt sich mit Staub und Qualm. Das eine Geschoß trifft den Turm an der Nordseite. Der in der Sakristei den Sonntag vorbereitende Küster kommt mit dem Schrecken davon. Das 2. reißt ein Loch über dem Fenster des unteren Beichtstuhles an der Evangelienseite. Während das Bauwerk nicht wesentlich beschädigt wird, sind aber alle Fenster dieser Seite dahin. Glas, Scherben und Dreck im Innern. Da der alte Küster die Trümmer nicht beseitigen kann, auch wegen der Gefahr . . nicht beseitigen soll, muß das hl. Opfer in der Kirche aufhören. Auch im Pfarrhaus sieht es heiter aus. Die Splitter haben das Küchendach durchbohrt. Nicht nur die einzig noch vorhandene Gemjütlichkeit, auch die Sicherheit dieses Raumes ist dahin. Als Beichtkind kommt eine Schwester, die sich durch den Tumult hindurchgewagt hat und auch durch eine ganze Lage, die krachend in der Nähe explodierte, nicht aus der Ruhe gebracht werden konnte. Wetter und Beschuß hält uns im Keller fest, der von drei nahen Detonationen erdröhnt. Als die Leute am Samstag, den 1. Okt. doch noch zu den Exequien kommen, ist nichts vorbereitet und sie mußten umgehen.
In der Nacht zum 1. Oktober hatten die Häuser von Knops, Gillessen (Vier Jahreszeiten), Langohr, Pöttgens und Birken es hart mitbekommen, dabei regnete es fürchterlich. Rosenkranzandacht im Keller zu vieren. Tagsüber verlassen wir den Keller kaum. In der Nacht bekommt die Zeche und die Südstraße ihren Teil ab. Schon früh beginnt das Feuer und hält den ganzen Morgen an. Aus der Dachluke der Kaplanei können wir die Qualmfontänen der Einschläge beobachten in Richtung Herzogenrath, die sich am Nachmittag auf Palenberg hin verlagern. Allmählich flaut der Lärm ab. Die Schwestern der Bewahrschule hätten gerne hl. Messe, die für ruhige Tage zugesagt wird. Die Menschenhetze geht weiter, am Abend erscheinen einige Verfolgte, die im Turm Sicherheit fanden. Immer noch können wir das hl. Meßopfer feiern, allerdings in der Sakristei. Eine Reihe Bekannte haben nun doch Kohlscheid verlassen, und immer mehr bröckeln ab. Ab und zu bringt eine gute Seele ein Brot, das immer mit großem Dank angenommen wird. Die Nacht ist relativ ruhig. Zur heiligen Messe bereits kommt die Nachricht, ein Fliegerangriff stehe unmittelbar bevor. So wurde die hl. Messe abgesagt, schnell das Nötige gepackt und hin zum Stollen Weststraße. Der EBV hat dort eine sichere Zuflucht geschaffen, 60 Stufen unter der Erde. Die Nachricht vom Wiedereintreffen der Nazibonzen veranlaßte mehrere Leute den Schlupfwinkel zu verlassen und sich irgendwo zu verstecken. Hier im Stollen erfährt man, mit - welcher Brutalität die fremden Nazis und Polizisten unter der Führung des Ortsgewaltigen Zimmermann mit den Menschen umgesprungen sind. Im Stollen ist ein beständiges Hin und Her, Kommen und Gehen. So gut sonst eingerichtet, er ist sogar beleuchtet, so schlimm ist es hier mit den Sanitären Anlagen bestellt. Sie sind für den Aufenthalt weniger Stunden eingerichtet worden, aber nicht für den Besuch vieler, die Tag und Nacht hier aushalten. Beim Metzger Sp. konnte man den deutschen Heeresbericht bei einer handfesten Tasse Kaffee hören. Aber wir müssen wieder herunter, und die lange Nacht beginnt. Eine Unterhaltung, auch über religiöse Dinge, kommt auf, dann erlöst uns ein kurzer Schlaf in der ungemütlichen Lage. Der Angriff ist unterblieben, zu Hause holt man den verlorenen Schlaf nach.
Freitag, 6. Oktober. Erst gegen 10 Uhr beginnt das verkürzte Tagewerk unter dem Rollen fernen Arifeuers, das heftiger werdend, den ganzen Tag anhält. Die Nacht ist still, Gefährte rollen über die Straße. Am Rosenkranzfest hindert ein heftiger Feuerüberfall die Feier der hl. Messe. Da naht der Vorbote kommenden Unglücks in Gestalt von Soldaten, die eine Beobachtung mit Funk auf dem Turm einrichten. Der Hinweis auf die Gefährdung der Kirche und der Nachbarhäuser fruchtet nichts. Befehl ist Befehl. Nach Ansicht des Unteroffiziers ist der Kessel nahezu geschlossen, nur ein Feldweg sei noch passierbar. Noch hat die Beobachtung nicht begonnen, als wieder Feuer einsetzt und die Häuser Birken, Schmitz, Schiffmann, Hilko u. das Wirtschaftsamt Emst-Frohn getroffen werden. Ein schöner Herbsttag macht den ruhigen Nachmittag recht angenehm. Zum Abend geht es wieder los und die ganze Nacht kracht es unheimlich. Das Feuer liegt auf dem Markt und seinen Zufahrtsstraßen, so wie der feindliche Funk es angesagt hat. Die Leute sollen solche Plätze meiden, aber wir können nicht. Herr Kaplan Frembgens feiert am Sonntag das heilige Opfer vor 20 Leuten bei Beschuß. Die Haltung der Gläubigen ist bewundernswert, aber reichlich unvorsichtig. Da der Küster weg ist, verlegt der Pfarrer seine Messe auf nachmittags 4 Uhr. Ein ruhiger, milder Tag steht in schneidendem Kontrast zu den Ereignissen in Bardenberg. Bardenberg liegt unter schwerem Arifeuer, Flieger machen heftige Angriffe im Tiefflug. Beim Kaplan war es noch recht gemütlich, nichts zerstört, Scheiben ganz. Darum ist der Pfarrer auch heute wieder bei ihm. Gegen 3.30 Uhr wird es unruhig und dann setzte schlagartig ein heftiges Feuer auf die Kirche ein. Erst liegen die Einschläge in den Wiesen, dann im Garten des Kaplans. Es ist Zeit, sich zu drücken. Kaum im Keller, wird das Haus getroffen, der Keller hob und senkte sich, mehrere Versuche nachzusehen scheiterten an dem rollenden Feuer. Endlich flaut die Beschießung ab, wir schauten und sahen die Bescherung. Klo und Hühnerstall weg, Sakristei ein Volltreffer, der uns alle hingerafft hätte, im Kirchendach ein gähnendes Loch, doch das Gewölbe ist heil. Die Turmluke, durch die die Soldaten beobachten sollten, genau getroffen. Die Beobachter hatten zeitig das Weite aus der Falle gesucht und sind nicht mehr wiedergekommen. Wir aber hatten das Nachsehen. In den Wiesen Trichter an Trichter. Noch einmal mußte uns der Heizungskeller für die Nacht aufnehmen, aber der Turm deckte nicht mehr. Die feindlichen Geschütze hatten ihren Standort geändert. An Schlaf war nicht zu denken, den scheuchte die Aritätigkeit. Wieder hat das Wochenende eine Verschärfung der Lage gebracht. Pastor Backes berichtet: -8- Am Montag (9. 10.) wird schon früh das Pfarrhaus getroffen. Die Granate hat sich das Fremdenzimmer ausgesucht und alles bis auf das Schuhschränkchen demoliert. Da der Heizkeller keine Sicherheit bot, sollte der von uns eingerichtete Luftschutzkeller der Hillko uns aufnehmen. Kaplan Frembgens tat nicht mit, weil er seine Schwester nicht aus dem Keller bekam. Das Erlebnis des Sonntags hatte ihre Nerven schwer mitgenommen. Mit Herrn Schneider, dem Vater des Pater Heribert, der nach der Zerstörung seines Hauses in Düsseldorf mit seiner Frau im Pastorat wohnte, ging, vielmehr lief der Pfarrer im Beschuß hinüber. Aber wir mußten den Plan aufgeben, da alle Kamine zerschossen waren und keiner zog. Soldaten, die sich abgesetzt hatten, kamen zu uns und warteten ergeben und kampfmüde auf ihre Gefangennahme. Ihr Ohr horchte nur auf das summende Geräusch anrollender Panzer. Erst gegen 3 konnten wir wegen des Feuers wieder ins Pfarrhaus zurück, indem wir eine Pause nach dem 6. Schuß abwarteten. Dort wollten Soldaten den Pfarrhof verteidigen, doch es gelang, sie von dem Unsinn abzuhalten. In unserem Keller hatte sich ein Hauptfeldwebel mit vier Mann und einem Verwundeten in Sicherheit gebracht. Auch sie, kampfesmüde, erwarteten das Ende. Vor einer Patrouille versteckten sie sich hinter den im Keller aufgehängten Kleidern. Mit Wolfshunger fielen sie über das gereichte Essen. Sie hatten seit drei Tagen nichts mehr gegessen. Eine Flasche Rotwein erwärmte die steifen Glieder im kalten Loch. Die Nacht war verhältnismäßig ruhig. Die Leute erzählten von dem Rückzug aus der Normandie, den sie zu Fuß gemacht hatten, von den schrecklichen Luftangriffen und wie sie zuletzt bei Heerlen noch einen Einsatz durchführen mußten, aus dem die 120 Mann starke Kompanie sich nur noch mit 16 Mann zurückziehen konnte. Hierbei bemerkten sie, daß keine Verlustlisten mehr geführt und manche Familien niemals etwas von ihren Söhnen erfahren würden. Sehr trübe Aussichten. Wie über Hitler hergezogen wurde, braucht nicht eigens erwähnt zu werden. Ein Befehl, sich für die Wiedereroberung Bardenbergs einzusetzen, hieß sie von hinnen ziehen, sie taten es ohne Aussicht auf Erfolg. Der Verwundete wurde vom roten Kreuz in die Anlemwerkstatt gebracht.
Wir waren wieder allein, B. bringt Fleisch. Es gibt eine prima Suppe. Von ihr gestärkt und gewärmt gehen wir im Keller auf Klappstühlen zur Ruhe. Der Morgen bringt wieder elende Schießerei. Dicker Qualm im Garten läßt auf Phosphorgranaten schließen. Da kommt der Sanitäter zurück und berichtet im Auftrag des Hauptfeldwebels von dem geplanten Bombenteppich, der nach Ablehnung des Ultimatums an Aachen fallen sollte. Er gibt den Rat, in den Stollen zu gehen, da der Keller zu unsicher sei. Der Kaplan wird in Kenntnis gesetzt, aber die Schwester will unter keinen Umständen den Keller verlassen. Wir beschließen zu gehen, da Frau Schneider die Kälte des Kellers nicht ertragen kann. Der Anwohner auf dem Markt sind nur noch wenige, von denen bei einem Bombardement kaum Hilfe zu erwarten ist. Unser Keller ist unter diesen Umständen eine Mäusefalle. Erst 10.15 Uhr ließ die Schießerei soweit nach, daß wir den Aufbruch wagen konnten. Etwas Nahrung und Decken werden mitgenommen, das Zurückbleibende wird mehr oder weniger abgeschrieben. Bei dem schnellen Marsch durch die Weststraße hatten wir wenig Blick für den wüsten Zustand der Häuser und Straße. An der Apotheke kommen wir in Friedenslard, keine Zerstörung, höchstens Glasscherben. In langsamerem Tempo erreichen wir den überfüllten Stollen und wundem uns, wieviel Leute noch geblieben sind, aber voller Angst vor dem angekündigten Ereignis. Doch es bleibt aus. -10- Mittwoch, 11. Oktober. Ein Bote ruft zur Anlemwerkstatt, doch ist der Zivilist schon tot. Die Gelegenheit wird benutzt, Verwundete und Kranke zu besuchen. Auf dem Rückweg mahnen die Trichter, daß auf dem Zechenplatz immer noch dicke Luft ist. Und nun beginnt das eigenartige aber nicht uninteressante Bunkerleben, das auch immer von Gerüchten neue Nahrung für Gesprächsstoff erhält. Immer mehr Familien treffen ein, manche hausen schon wochenlang in dem Verließ. Man spricht mit diesem oder jenem über religiöse Dinge, die Lage bringt das von selbst mit sich. Ab und zu geht man an den Eingang, um frische Luft zu schöpfen oder zu rauchen. Immer liegt schweres Feuer auf dem Markt. Wie mag das Pfarrhaus aussehen, was bleibt übrig? Am Donnerstag, dem 12., findet sich Familie B. vom Markt ein und Familie S. Ihre Fabrik brennt, der Gartenbunker ist nicht mehr sicher, die Einsamkeit zu groß. Am Freitag kommt auch Kaplan Frembgens mit seinen Angehörigen. Der Beschuß ist zu toll. Die Woche geht zu Ende und damit die mitgebrachten Vorräte. Die Lage selbst läßt noch keine Hoffnung auf baldige Erlösung zu. Wir sind noch nicht aus den Kleidern gekommen. Das Waschen geht nur nach Katzenart, da Wasser mangelt. Meine Schwester entschließt sich, Sonntag in der Frühe im Pfarrhaus Proviant und Wäsche zu holen. Ein nicht ganz ungefährliches Unterfangen: Bei einem ähnlichen Unternehmen, allerdings bei Tage, sind Mitglieder der Familie J. E. verwundet worden. Herr Schneider geht mit. Leider hat die Schwester den verkehrten Koffer in der Hast erreicht, doch auch der 2. Versuch gelingt.
Eine neue Woche bricht an. Große Aufregung. Die Amerikaner sind im Anmarsch. Ein Stoßtrupp war in der Bardenberger Straße gefangen genommen worden. Man hört die Panzer, sie kommen näher, tauchen auf der Weststraße auf. Sie schießen auf den Eingang des Stollens, Herr V. geht mit einer weißen Fahne den Panzern entgegen, die das Feuer sofort einstellen. Zwei Amerikaner gehen mit dem Kaplan in den Stollen und vergewissern sich, daß nur Zivilisten unten sind. Widerstand wird nirgends geleistet, die aufgestellten, wenigen Posten haben sich zurückgezogen. Schon sind die Panzer über die Roermonder Straße hinaus, da beginnen sie wieder in Richtung Bank zu feuern. Angstvolle Blicke begleiten den feuernden Koloß. Besonders die Banker sind in verständlicher Aufregung. Deutsche Soldaten hatten sich noch auf dem Bahndamm und am Tunnel gezeigt. Noch wenige Schüsse, dann Ruhe. Die Amerikaner gehen nicht weiter vor. Die Dämmerung bricht herein. Morgen geht der ' Krieg weiter. Die ganze Höcker- und Bunker-Linie hat nichts genutzt. Daß der Feind von Kohlscheid kam, damit hatten die Erbauer und Planer nicht gerechnet. Wir aber schwelgten in dem wohligen Gefühl, von Fliegerangriffen und Aribeschuß jetzt frei zu sein. Dem Feuer trauten wir nicht mehr viel zu. da es mehr und mehr erloschen war. Während die Panzer noch schießen, gehen Kaplan Frembgens und ich zum Markt, um zu sehen, was sich getan hat. Es ist allerhand los. Haus und Garten übel zugerichtet. Die Baracke mit Inhalt verbrannt, doch nichts ist gestohlen vom Feind. Die Kirche hat viele Treffer in Dach und Gewölbe, doch das Bauwerk steht. Jedoch im Innern mächtige Trümmerhaufen. Als wir zurückkommen, durchsuchen die Amerikaner das Haus Sch. nach Waffen. Es sind keine da. Das Anerbieten, Bürgermeister zu werden, lehne ich trotz der angebotenen guten Sachen ab. Ein Glas Wein vereint uns mit den Siegern, die sich manierlich betragen. Wir schlafen ruhig im Keller. Die wenigen Einschläge deutscher Granaten ändern daran nichts. Der Nazizauber ist für uns zu Ende.
Bei dem ersten Zusammentreffen mit amerikanischen Soldaten in unserem Keller fiel angenehm die Zwanglosigkeit auf, in der diese mit ihren Vorgesetzten verkehrten. Als solche sonst nicht erkennbar, zeigte nur der Strich auf dem hinteren Helmrand die Charge an. Im Unterschied zur (früheren) deutschen Armee gilt der Mensch alles und das Motorrad nichts. Das konnte drauf gehen, so viel es wollte, der Mensch wurde geschont. Selbst Waffen wurden gefahren. Und auch der Soldat selbst, soweit als das Kampfgeschehen es nur immer gestattete. Ein Draufgängertum, wie es bei unserer Armee einmal üblich gewesen, kannten sie nicht. Sie ließen eben die Maschinen arbeiten, sie konnten bei dem ungeheuren Materialbestand leichter ersetzt werden, als Menschen. Eine ganz andere Art des Soldaten trat uns im Amerikaner entgegen. Ebenso angenehm berührte die schlichte Selbstverständlichkeit, mit der sie sich zu ihrer Konfession bekennen. Was wäre bei unserer Wehrmacht nicht geschehen, wenn einer seinen Waffenrock aufgeknüpft und auf den Rosenkranz hingewiesen hätte, den er am Halse trug! Um es vorwegzunehmen: die Haltung der katholischen Amerikaner bei ihren Gottesdiensten war vorbildlich. -13- Pastor Backes berichtet: [Fortsetzung] Auf die Frage, warum sie nicht von Horbach, wo sie doch schon seit Mitte September lagen, vorgestoßen seien, da doch Kohlscheid ohne Besatzung gewesen sei, antwortete der Offizier, die Ölleitung wäre nicht schnell genug nachgekommen und sie unternähmen nichts, was nicht 100 % Sicherheit böte. Sie wollten Ostern in Berlin sein, und das würden sie auch erreichen. Staunen erregte die Art und die gute Qualität der Verpflegung, Ein Vergleich mit der unsrigen —ja, wir waren am Ende unserer Kraft. Auch die Bekleidung, von den Waffen ganz zu schweigen, war erstklassig und praktisch. Sie muß in unvorstellbaren Maßen vorhanden gewesen sein. Bei der geringsten Beschädigung gab es neues Zeug. Gern griffen unsere Leute nach den abgelegten Sachen. Die zur Verpflegung gehörende Schokolade und Klümpchen bekamen meist die Kinder. Und als später Küchen eingerichtet wurden, teilten die Soldaten gerne von ihrem Überfluß aus. Sie durften es eigentlich nicht. Alle Reste sollten in Tonnen geworfen und verbrannt werden, wie sie es auch zu Hause gewohnt waren. Die Bewohner, welche Einquartierung hatten, haben es nicht schlecht gehabt und ein gutes Verhältnis bahnte sich unter Siegern und Besiegten an. Zum Teil glaubten die Soldaten, wir wären keine Deutschen, weil die Leute so freundlich seien. Dieses barbarische Volk begann erst hinter dem Rhein. Bratkartoffeln scheint für alle Soldaten der Welt das Gericht zu sein, dazu noch frisches Gemüse, dann geben sie freiwillig ihre Kost her. Das friedliche Licht der heiligen Nacht sendet schon seine milden Strahlen und verbindet Freund und Feind, es würdig zu begehen. In den Quartieren werden die Bäume geputzt und die Krippen aufgestellt, die Lieder geübt. Die Soldaten hatten schon ihre Pakete von zu Hause und wollten sie mit den Leuten verzehren. Es hatte reichlich Magenkranke gegeben. Für die kath. Soldaten ist für Mitternacht ein feierlicher Gottesdienst angesetzt, zu dem unser Chor singen soll. Nach der Kirchenvorstandssitzung am Sonntag, dem 17. Dezember, konnte man auf den Gesichtem der Soldaten eine gewisse Niedergeschlagenheit bemerken. Am Montag sind die Straßen leer von Amerikanern, sie sind ohne ein Wort laut werden zu lassen, abgerückt. Die Stille wirkt unheimlich und Gerüchte gehen von Mund zu Mund. Eine rege Fliegertätigkeit hat eingesetzt. Scheinwerfer flammen auf, die Flak bollert heftig und wie die Beleuchtung einer Straße stehen die Leuchtkugeln in der dunklen Nacht, So hell ist es, daß ich in meinem Bett lesen kann. Das Grollen der Geschütze mischt sich mit dem Geknatter der Maschinengewehre, das wir deutlich hören können. Alles deutet auf eine große Sache hin. Der Weg nach Bardenberg ist gesperrt. Maschinengewehmester werden im Ort angelegt. Nebel hüllt alles ein. -14- Pastor Backes berichtet: (Fortsetzung) Holländer und Belgier haben inzwischen die Sicherheit unseres Ortes in ihre Hand genommen und zunächst Ausgangssperre verhängt, die nur von 8-11 und 3-5 Uhr die Straße freigibt. Besonders die Belgier sind scharf und ihre Kugeln sitzen lose im Lauf. Unaufhörlich rollen die Geschütze und Panzer auf der Roermonder Straße in das Kampfgebiet. Wenn diese Masse an Material rechtzeitig eintrifft, werden die Deutschen Arbeit bekommen. Um die Weihnachtstage ist die akute Gefahr gehemmt. Einige Nazis, die sehr klein geworden waren, beginnen wieder zu reden und geben der Hoffnung Ausdruck, den Deutschen möge der Schlag gelingen. Sie können es immer noch nicht glauben, daß wir den Krieg endgültig verloren haben Ein Erfolg ist nur kurzfristig, verlängert den Krieg und wird uns, die Zurückgebliebenen, an den Bäumen hängen sehen, wenn die Deutschen Kohlscheid wieder besetzen. Die Rundstedt-Offensivc hat sich festgefahren. Bastogne hält. All die Opfer sind umsonst gebracht. Auch die Amerikaner haben schwere Verluste gehabt. Die Truppe sollte nach Aachen, will aber wieder in Kohlscheid untergebracht werden, bei den alten Quartiersleuten. Hier wird ein strenges Gericht gehalten mit ihren Nachfolgern, wenn sie sich gegen die Leute zu hart gezeigt haben. Mancher Belgier hat seine Tracht Prügel einstecken müssen. -15- Am 10. Januar kommt eine Hiobspost: Alle Fahrräder, Radioapparate und Bettücher müssen abgegeben werden. Die Bevölkerung wurde von einer gewaltigen Erregung geschüttelt und ließ die Sympathie zum Sieger in Apathie umschlagen. Das Eigentum war so oft vom englischen Rundfunk garantiert, durch Flugblätter als sicher hingestellt worden, daß die Menschen diese Maßnahme nicht verstanden, Sie war natürlich bedingt durch die augenblickliche Kriegslage. Es brauchte aber nur dieser Grund angegeben und die Rückgabe der Dinge versprochen zu werden, dann wäre alles gut gewesen. So demontierte man vorher Räder und Radios, um sie dem Gegner nicht gebrauchsfähig in die Hand zu geben. Die Bettücher dienten natürlich zum Tarnen, aber es hätten nicht alle eingefordert zu werden brauchen. Die Leute hätten bestimmt getan, was sie konnten. Nun aber wurden sie aufsässig, da auch Kranke und Wöchnerinnen nicht mehr auf weißen Laken liegen durften. Herr Gasten fuhr zum Landrat und zum Bischof ohne etwas zu erreichen. Eingaben an den General blieben ohne Erfolg. Die Geistlichkeit stand nicht zurück und hat wohl die schärfste Formulierung gewählt aber immerhin nicht protestiert und nichts gefordert, sondern aus gewichtigen Gründen um Linderung der Maßnahmen gebeten. Pfarrer Klein aus Horbach legte sofort seinen Posten als Bürgermeister nieder, weil er mit dem Anschlag der militärischen Forderung seine Stellung als Pfarrer nicht untergraben wollte. Der Kommandant gab zu verstehen, daß er als Offizier gehorchen müßte und versprach, die Eingabe weiterzuleben. Die Abgabe mußte weiter durchgeführt werden, und sie geschah mit Ingrimm. Am 17. wird der Chronist, weil er die Eingabe als erster unterschrieben hat, durch eine Ordonanz zum Kommandanten beschieden. Dort sind die Herren vom Hauptquartier, die mit der Feststellung der Personalien und Erkundigung über Kirche und Leute am Ort und in der Nachbarschaft beginnen. Auf die Frage nach der Stimmung der Leute kommt prompt die Antwort: Erst sehr gut, dann aber durch die einschneidenden Maßnahmen schlecht. Dabei wird aufgezeigt, wie verbohrt der Weg gewesen ist, auf dem die Militärverwaltung ihr Ziel erreichen wollte.
Die Fragesteller geben auch den Wechsel der Stimmung beim General (selber Katholik) gegenüber der kath. Geistlichkeit zu, die den Brief als eine Forderung und einen Protest eingereicht hatten. Sie werden darauf aufmerksam gemacht, daß der General das Opfer eines Irrtums oder einer schlechten Übersetzung geworden sei. Die Geistlichkeit habe das Wort «bitten» gebraucht und damit den Brief als Bitte eingereicht. Am meisten hatte die Amerikaner gestochen, daß ihr Verhalten mit dem Verhalten der Nazis verglichen wurde. Sie stützten sich darauf, daß die Kampfzone solche Maßnahmen nötig machte. Beim Kommandanten arbeitete ein Dolmetscher, der als Professor angeredet wurde und aus seiner antideutschen Stellung keinen Hehl machte. Bei der Pastor Backes berichtet: -16- Unterhaltung griff er bei dem Passus, der die «Bitte» behandelte, ein und behauptete das Gegenteil. Vom Kommandanten scharf zurückgewiesen, hüllte er sich in Schweigen. Vielleicht hat er gerade die falsche Formulierung verursacht. Wie gut die Fragesteller unterrichtet waren, geht daraus hervor, daß sie meine Tätigkeit als Militärpfarrer (im 1. Weltkrieg) genau wußten. Es laufen dauernd Leute der C.J.C. herum, welche die Leute befragen. Die Kommunisten werden mehr angesprochen als der Pfarrer. Im Allgemeinen wissen sie über bestimmte Leute genau Bescheid. -17- Der Umstand, daß bei der ausgezeichneten Verpflegung der amerikanischen Soldaten der Alkohol fehlte, machte sie scharf auf Wein und Schnaps. Wo von diesem Getränk in einem unbewachten Hause lag, kamen sie ihm bald auf die Spur. Davon schloß sich auch die Militärpolizei nicht aus. Sie hatten es auf den Weinkeller des Pfarrers abgesehen, dabei auch den gesamten Meßwein mitgehen lassen und im Keller Nordstraße 1 untergebracht. Eine Frau verriet das Versteck und ein off limits Schild sperrte den Zugang zum Reste. Alkohol war auch ein beliebtes Tauschobjekt, mit dem man nützlichere, lebenswichtigere Dinge einhandeln konnte. Woher diese kamen, wurde nicht lange untersucht. Von dem Verhältnis der Kampftruppe zur Bevölkerung ist schon im besten Sinne geschrieben worden. Klagen über unsittliches Benehmen der Mädchen weit sind nirgends laut geworden. Von Seiten der Neger ist ein Fall bekannt geworden. In den seltenen Fällen intimer Beziehungen bei Schwarzen gingen sie zu Lasten der Frauen, die für Lebensmittel und Süßigkeiten sich Preisgaben. Die Etappentruppe war wesentlich anders eingestellt — wie bei allen militärischen Haufen — und die Leichtigkeit, mit der sie ihre Opfer fanden, nahm mit dem Gefühl der Sicherheit vor tödlichen Geschossen zu. Interessant die Tatsache, daß Neger nie zur kämpfenden Truppe gehörten, sie waren Soldaten 2. Klasse und eine Kirche, die von Weißen benutzt wurde, durfte von ihnen in Gemeinschaft nicht betreten werden. Im übrigen waren sie große Kinder und fühlten sich zur Bevölkerung als den Besiegten hingezogen. Nach der Rundstedt-Offensive wurden die Beziehungen zur Bevölkerung kühler, besonders als sie von den Greueln der Konzentrationslager erfuhren. Jede «Verbrüderung» war verboten.
Die innere Auflehnung der einfachen Bevölkerung gegen das Naziregime war groß. Ausnahmen fanden sich meist bei den Bessergestellten. Die Leute atmeten darum auf, als der Druck, der besonders in dem Bürgermeister und Ortsgruppenleiter sich in übelster Weise verdichtete, durch seine feige Flucht von ihnen genommen war. Nun brauchten sie die feindlichen Flieger und das gegnerische Arifeuer, das sie so oft in die Stollen und Keller getrieben hatte, nicht mehr zu fürchten. Gegenmaßnahmen von deutscher Seite legten sie kein besonderes Gewicht bei, wenn auch hier und da Streufeuer einsetzte und Schaden anrichtete an Haus und Leben. Sechs Zivilisten sind durch Granaten von beiden Seiten gefallen (— in unserem Totenbuch sind für die Zeit von September 1944 bis zum Mai 1945 insgesamt 42 eingetragen, die durch die Kampfhandlungen zu Tode gekommen sind —). Ein gewisses unheimliches Gefühl wurde man nicht los, wenn man sich in den Straßen an den Bergen von Munition jeglichen Kalibers vorbeischlängeln mußte. Ein Treffer und Kohlscheid wäre vom Erdboden verschwunden gewesen. Die Rundstedt- Offensive hat den Ort von dieser drohenden Gefahr befreit, weil sie diese Menge Munition auf amerikanischer Seite restlos verschlang.
Die Versorgung mit Lebensmitteln machte den Leuten zunächst kein Kopfzerbrechen. Sie hatten in ihren Kellern noch allerhand Vorräte, sie rechneten im Stillen mit dem zurückgelassenen Gut der Evakuierten und dachten, die Ernte wird doch für die wenigen ausreichen. Aber schon bald machte sich der Mangel an Kartoffeln bemerkbar. Der Einmarsch der Amerikaner fiel gerade in die Rodungszeit, und die Nähe der Front in Würselen duldete keinen Aufenthalt im Freien. Zudem hatten die Männer totalen Hausarrest. Der Aufforderung an die Kartoffelbesitzer, einige täglich abzugeben für diejenigen, die keine hatten, kam man nur ungenügend nach. Als der Kampflärm um Würselen verstummte, konnten auf den Feldern die Kartoffeln geerntet werden. Auch mit dem Brot haperte es. Was wegtransportiert werden konnte an Mehl und Getreide, hatten die Nazis mitgenommen, weil die Zurückbleibenden eben «verrecken» sollten. Doch hatte die Hillko vorgesorgt und heimlich große Vorräte ins Bergwerk geschafft. Wenn auch durch die ungünstige Lagerung manche Lebensmittel in Mitleidenschaft gezogen wurden, so war doch vorläufig gesorgt. Ein Versuch, in Horbach bessere Sachen, wie Butter und Milch zu bekommen, schlug fehl. Nur Kartoffeln wurden zugesagt. Aber es gelang, in der Mühle von Schloß Rahe, bei Herrn Leuchter 1000 Sack Roggen sicherzustellen. In das Brot wurde der vorhandene Printenteig verarbeitet, und so hielt der Vorrat länger. Neben Brot und Kartoffeln machte die Trinkwasserversorgung Schwierigkeiten. Das Netz war an viijpn Stellen durch Kriegseinwirkung unterbrochen. Die Brunnen konnten den Bedarf nicht dcgpn. Der EBV erstellte eine Reihe von Zapfhähnen auf dem Zechengelände, die Kondenz-wa|ser abgaben. Dieses Wasser war keine Delikatesse, aber es war Wasser. Mit Wägelchen wurde es Ibit' allerhand Behältern von den Frauen geholt. Diese hatten allein die Möglichkeit, sich am VAnittag und Nachmittag auf den Straßen zu bewegen. Allerdings war sonst nicht allzuviel heflieizuschaffen. Mit RM 15,— war die monatlich zustehende Lebensmittelquote bezahlt. Und dieAFrauen begrüßten es wohl am meisten, als die ersten Tropfen durch die Zapfhähne in die HAser liefen. Darüber aber wurde es Weihnachten, und bei neuentstehenden Schäden mußte diAZeche mit ihrem Wasser aushelfen. Die Tage waren kurz, die Abende lang. Womit sie erhellen? Der Kerzenvorrat in der Kirche war schon bald von Soldaten und Zivilisten verbraucht. Ab und zu wurde eine Paraffinkerze ausgegeben. Das Feuer im Herd gab Licht, und zeitige Bettruhe machte den Mangel an Lichtspendem nicht so fühlbar. An der Reparatur des Lichtnetzes wurde fleißig gearbeitet, aber nur wenige Ortsteile konnten sich um die Weihnachtszeit des Lichtes erfreuen.
Zwischendurch konnten Vereinzelte sich beim Lampenmeister der Zeche eine Grubenlampe holen, die bei sparsamem Gebrauch 2—3 Abende vorhielt. Der Umtausch ging schnell vonstatten. Die Bewohner in unmittelbarer Nähe der Zeche haben die Finsternis in den Häusern nicht zu erleben brauchen. Erst um Ostern trat auch der Nordteil Kohlscheids in den Genuß des elektrischen Lichtes. -21- (Fortsetzung) Die Kohlenvorräte hätten wohl gereicht, wenn nicht die häufigen Einquartierungen sie zu stark in Anspruch genommen hätten. Ersatz bekamen die Leute nur in den seltensten Fällen, denn die Zeche arbeitete vornehmlich für die Besatzung und die eigenen Leute. Da blieb nicht viel noch für die gewöhnlichen Sterblichen übrig. Auf dem Wege über den Ankauf von Deputatkohle konnte man sich helfen, aber der Bergmann, der dabei erwischt wurde, verlor seine Deputatscheine. Doch erst der Winter 1945/46 hat diese Misere erst recht wirksam werden lassen. Nicht nur die Kohlenabgabe an die Zivilisten, sondern die ganze Situation des Bergwerkes war schlecht. Viele Arbeiter waren dem Evakuierungsdruck erlegen, andere nahmen es mit dem Verfahren der Schichten nicht ernst. Verständlich, weil sie in der Versorgung von Lebensmitteln sich besser standen; die fast wertlosen Geldscheine konnten sie kaum am Leben erhalten. Aber eine Gefahr ist nicht immer gesehen worden. Wegen mangelhafter Förderung konnte der Betrieb von den Besatzungsmächten geschlossen werden. Mehr als einmal ist die Zeche diesem Gefahren-Punkte sehr nahe gekommen. Gott sei Dank ist die Katastrophe der Bevölkerung erspart geblieben. Die Leitung der Zeche ist verhaftet und in Reddinghausen festgehalten worden, kein Mensch weiß, warum. Sie wurden später freigelassen, ohne daß ihnen der Grund ihrer Verhaftung mitgeteilt worden wäre.
An die stets wechselnden Ausgehzeiten und Sperrungen harte man sich gewöhnt und nahm sie nicht tragisch. Das wurde anders, als am 10. Januar die Beschlagnahme der Fahrräder, Radioapparate und Bettücher verfugt wurde. Eine gewaltige Erregung bemächtigte sich der Bevölkerung und bei einem Vergleich schnitt Hitler noch besser ab. Die ganze Sympathie für die Befreier war dahin, zumal die Leute schon wußten, wie die Apparate von den Soldaten abgeschleppt wurden und wie sie mit den Fahrrädern Unfug trieben. Einzelne, die dem alten Regime nachtrauerten und Morgenluft witterten, ließen sich zu unbedachten Äußerungen hinreißen, die sie mit langjährigen Haftstrafen bezahlen mußten. Die ganz Vernarrten glaubten tatsächlich bei der Rundstedt-Offensive an eine Wendung des Krieges und sahen die Deutschen schon in Antwerpen stehen. Doch die bald bekannt gewordenen Tatsachen wiesen auf ein anderes Ende hin und die Hoffnungsfrohen wurden kleinlaut und endlich ganz still. Es ist gelungen, die ca. 5 800 Seelen starke Bevölkerung, wenn auch bei schmaler Kost, am Leben zu erhalten und auch die allmählich nach der Kapitulation zurückflutenden Evakuierten wieder in den Arbeitsprozeß einzuschalten. Allerdings hatte man mit einer so baldigen Rückkehr nicht gerechnet. Und das mag wohl auch bei manchen der Grund gewesen sein, sich Dinge anzueignen, von denen man sich später nur ungern trennte. Das Pfarramt konnte verschiedene Stücke auf anonymem Wege den Eigentümern zurückstellen. Auf eine nicht geringe Anzahl von Sachen mußten die Eigentümer ihr Recht einwandfrei nachweisen, sonst bekamen sie sie einfach nicht zurück. Der Pfarrer hat mit seiner Enttäuschung über dieses Verhalten nicht hinter dem Berge gehalten. Von diesen sogenannten sichergestellten Dingen ist später noch vieles verhamstert worden. 715 Kinder wurden am 28. Januar 1945 als schulpflichtig registriert. Die höheren Schüler sind mitgezählt. Unterricht wieder einzurichten geht darum nicht, weil die Schulen noch belegt sind. Zudem haben die Schwarzen die Schulmöbel zum großen Teil verbrannt. Der Unterricht wurde im möglichen Umfang im Mai 1945 wieder aufgenommen.
Während in den ersten Tagen nach der Besetzung die Leute sich frei bewegen konnten, kam bald das Ausgehverbot für die Männer. Den Frauen war nur je eine Stunde morgens und nachmittags Ausgang gestattet. Eine sehr kurze Zeit, wenn man bedenkt, daß auch das Trinkwasser besorgt werden mußte. Nur ein Ausweis öffnete Männern die Tür zum Freien. Ihn zu bekommen, galt das Interesse dieser Tage, denn sonst saß der Hirte fest und konnte seine Schäflein nicht betreuen. Da in Bank das Ausgehverbot in gemildertem Maße bestand, mußten Talar und Birett den Paß ersetzen und sie taten es auch. Die Posten an der Roermonder Straße ließen die beiden Pfarrer durch. So war es wenigstens möglich, zu zelebrieren. Es dauerte für den Wartenden sehr lange, bis das ersehnte Papier in seinen Händen war. Die erste Verlängerung zum Gottesdienst ist gegeben, aber die 2. noch nicht. Die allzu kurz befristete Ausgangszeit ist noch nicht verlängert und der Hausarrest der Männer noch nicht aufgehoben. In der Absicht, wenigstens den Schwestern in Kämpchen zu helfen, mache ich dort einen Besuch und treffe Pater Chrysostomus Lauenroth, der sich auf seine besondere Art, die schier Unmögliches möglich macht, von Holland aus dahin abgesetzt hat. Er war sehr lange der einzige Geistliche, der einen Ausweis hatte, um nach Holland zu gehen. Es gelingt auch dem Kaplan, sich einen Paß zu verschaffen, sodaß auch die Schwestern von Hoheneich Gottesdienst halten konnten.
Für die noch zu erwartende Aufhebung der Sperre galt es, ein Lokal einzurichten, in dem die Leute sich zum. Gottesdienst versammeln konnten. Es war bald in den Wirtschaftsräumen bei Claßen (Ecke Süd- und Forstheider Straße) gefunden. Sie wurden nett hergerichtet. Fräulein Martha Kleinen versah den Küsterdienst, So hatte der Pfarrer eine Möglichkeit, zu zelebrieren und auch einige Leute der Nachbarschaft «hinten herum» um seinen Altar zu versammeln. Von da aus wurden auch die Kranken versorgt, die seit Anfang September nicht mehr besucht worden waren. Die Sperre wurde deshalb nicht gelockert, weil einige Leute nicht zeitig von der Straße weg waren; sie konnten sich schlecht an den Gedanken gewöhnen, daß Kohlscheid noch Frontbezirk war, und daher ein ungeordnetes Herumlaufen wegen der Sicherheit der Truppen nicht gestattet werden konnte. Als die Lage sich etwas geklärt hatte, wurde sonntags eine hl. Messe um 9.15 Uhr und nachmittags um 2.30 Uhr gestattet. Natürlich reichten die Räume (Claßen u. Hoheneich) nicht aus, aber der Anfang war gemacht und bald kamen weitere Erleichterungen. Es konnten drei hl. Messen (um 9.15 Uhr, 10 und 11 Uhr) gehalten werden. Ja, der Ausgang wurde von 9—4 Uhr nachmittags freigegeben. Die qualvoll-fürchterliche Enge bei Claßen drängte zu einer anderen Lösung, wenigstens für die Sonntage. Es gelang, die Werkräume der Möbelfabrik Emst so abzudichten, daß der Aufenthalt dort möglich war. Natürlich konnte die Kälte in diesen Räumen nicht gebannt werden, wenn auch der Betonboden mit Podien bedeckt wurde. Das Allerheiligste wurde für die Woche im Tresor des Büros aufbewahrt, der Gottesdienst ging an Werktagen bei Claßen weiter. So ging es bis zum 22. Dezember, als höheren Ortes der Ausgang auf morgens 8—10 Uhr und nachmittags auf 3—5 Uhr festgesetzt wurde. Die Rundstedt-Offensive machte sich auch nach dieser Seite bis nach Kohlscheid hin bemerkbar. Vorläufig begnügten wir uns werktags nur mit privatem Gottesdienst. Auch der Beichtstuhl, samstags, mußte ausgesetzt werden. (Fortsetzung) Am Tag vor Weihnachten werden zwei Gottesdienste gehalten und Beichtgelegenheit geboten. Ein Trauerzug bewegt sich nach der ersten Messe zum Friedhof, wo die drei Kinder bestattet werden, die durch Spielen mit einer Handgranate zu Tode gekommen sind. Still ist es am hl. Abend. Unsere Gedanken suchen die Angehörigen, von denen wir nicht wissen, wo sie stecken und wie es ihnen geht. Ein Stückchen Schokolade ruft die Erinnerung an die Vergangenheit wach. Durch die Nacht hin feuert ein schweres Geschütz. Der Weihnachtsmorgen dämmert herauf, fernes Grollen und Stukas singen eine harte Melodie, die nichts vom Frieden kündet. Der Beichtstuhl wird bis zur hl. Messe beansprucht und die «Pfarrkirche» ist gestopft voll. Der Altarraum steht im Tannengrün und die Krippe ist schlicht und einfach aufgebaut. In der Erinnerung steht die Kirche in goldenem Kerzenschein, Mittemachtsmette mit Chor und Orchester. War nicht auch in der Kirche Weihnachten verniedlicht, vergemütlicht, bürgerlich fett geworden, in Stimmung verflüchtigt? Und doch, wie gewaltig ist das Geheimnis der heiligen Nacht, jene Nacht, in der Himmel und Erde Friede geschlossen haben. — Auch die Nachmittagsmesse ist sehr gut besucht, und in den so vertrauten Liedern klang die Sehnsucht nach innerem und äußerem Frieden. Am 14. Januar kann die erste Messe um 10.20 und die zweite um 11.20 Uhr beginnen. Nach drei Wochen wieder Ausgeh verbot. Es bleibt dabei: nur Frauen können morgens und nachmittags eine Stunde ausgehen. Selbst die Inhaber von Pässen müssen zu Hause bleiben. So ist dieser Sonntag ohne Meßfeier. Eine Woche später wird erlaubt, daß die Männer um 7.15 Uhr, die Frauen um 11.15 Uhr die Kirche besuchen. Es muß darauf gedrängt werden, daß weiter abwohnende Leute die Messe vorzeitig verlassen, damit sie zeitig von der Straße sind und erneute Sperrmaßnahmen vermieden werden. Mit großer Mühe erreichen wir, daß die Zeit für den Gottesdienst um eine Viertelstunde verlängert wird. Am 1. März kommt die Katastrophe mit dem betrüblichen Befehl, die Werkräume sofort zu räumen, da sie als Quartier für neue Mannschaften dienen sollen. Das Kommando läßt sich auf nichts ein. Wohl helfen seine Soldaten, die ganzen Sachen in die Pfarrkirche zu schaffen. Sie ist auf Anordnung der amerikanischen Feldgeistlichen etwas aufgeräumt, weil sie da den Gottesdienst halten. Wir vollenden die Arbeit und ziehen wohl oder übel ein. Durch die zerschossenen Gewölbe rieselt der Schnee, und der Wind treibt ihn auch durch die Fenster in das Innere. Aber wo sollten wir sonst unterkommen? Sonstige Räumlichkeiten sind vollends zerstört oder belegt.
Trotz des üblen Märzwetters kommen viele Gläubige. Sie mußten den Kopf bedeckt halten, es zog zu stark. Auch an der Messe des Feldgeistlichen um 10 Uhr nahm noch eine stattliche Anzahl teil. Das Allerheiligste wird in den Tresor der Sakristei übertragen, in die es noch mächtig hineintropft. Die Paramente werden auf der Orgelempore aufbewahrt. -27- (Fortsetzung) Nun können die Leute wieder von morgens 6 Uhr bis abends 7 Uhr ausgehen. Der Gottesdienst kann sich freier entfalten. Gründonnerstag und Karfreitag halten wir die Feiern in der Kirche. Die Liturgie des Karsamstags feiern wir in Pannesheide. Die Ostertage werden mit größtmöglicher Feierlichkeit und unter starkem Andrang der Gläubigen gehalten. Das einzige Kommunionkind, die Enkelin des früheren Organisten, hat sich mit Einwilligung des Pfarrers in Pannesheide angeschlossen. In der Pfarre hatte sich sonst niemand gemeldet, es hatte auch keine Möglichkeit bestanden, die Kinder vorzubereiten, da die entsprechenden Räumlichkeiten fehlten. Ab Pfingsten 1945 sind am Sonntag wieder vier hl. Messen in der Pfarrkirche. Inzwischen sind schon manche Evakuierte wieder eingetroffen. Die Notkirchen haben ihren Zweck erfüllt. Hier sei nochmals herzlicher Dank ausgesprochen denen, die uns in den Tagen der Not bereitwillig geholfen haben. Nach jahrelangem Verbot kann sich auch die Prozession am Fronleichnamstage wieder entfalten, und sie tat es unter reger Anteilnahme der Gläubigen. Wir zogen zum zerstörten Kreuz in Vorscheid, mit kurzer Ansprache über die wahren «Kreuzvernichter» mit der eindringlichen Mahnung, sich hinfort um das Kreuz zu scharen, denn seine Wahrheit sichert allen den Frieden. Das neue Pappelrund des Ehrenmales nimmt die ganze Prozession auf. Kinder und Fahnen gruppieren sich um den Altar, den geschickte Hände vor dem Mal aufgebaut haben. Zum Festhochamt singt der Chor die Brucknermesse. Die Ansprache knüpft an die Inschrift «Die Toten starben, damit wir leben» an. Von dort zogen wir zur Kirche, wo der Schlußsegen erteilt wurde. Die Soldaten salutieren und knipsen auf den Straßen. Pastor Backes berichtet: -28- Der Wiederaufbau Alle kircheneigenen Gebäude hatten schwere Treffer mitbekommen; am meisten das Pfarrhaus. Mit Ausnahme der Kaplanei am Markt waren alle Dächer beschädigt, so daß der Regen freien Zutritt fand und sein langsames aber sicher zerstörendes Werk beginnen konnte. Kaplan Frembgens hat das Haus Markt 5 mit seinem Schwager, der als Ausgebombter bei ihm wohnte, und dem Maurer Rosenbaum wieder bewohnbar gemacht. Als Fensterrahmen wurden die besten aus dem alten Pfarrhaus verwendet. Am Sonntag, dem 17. Dezember, entschied sich der Kirchenvorstand auf das Gutachten des Architekten Bück hin, das Pfarrhaus abzureißen. Die tragenden Balken waren alle beschädigt, die eichenen sogar völlig zersplittert. Das Mauerwerk des fast 150 Jahre alten Hauses bestand aus sehr schlechten gebrannten Ziegeln. Zudem war die Erdfeuchtigkeit aus Mangel an Isolierung und Kellerraum in den Wänden hochgezogen. Das anfallende Material an Holz, Dachbalken, Sparren und Fußböden sollte benutzt werden, die Einschlaglöcher auf dem Kirchendach zu reparieren. Die Dachpfannen reichten aus, das Haus in der Nordstraße vor weiterem Eindringen des Wassers zu schützen, Mitte November 1945 zog der Pfarrer von Kaiserstraße 37 nach Nordstraße 45 um. An die Wiedererrichtung des Pfarrhauses war noch nicht zu denken. Für den Abbruch ließen sich nicht einmal geeignete Kräfte finden, geschweige Gelder für den Aufbau. In erster Linie galt die Aufmerksamkeit der Reparatur der Kirche. Die Meßdiener und die Priestersakristei wurden bald wieder bezugsfähig. Als Dachbekleidung diente Asphalt, der aber starken Regen immer wieder durchließ, bis es gelang, Zink zu beschaffen. -29- Der Wiederaufbau Zu großem Dank ist die Gemeinde Herrn Adam Scheilen verpflichtet, der unter eigener Lebensgefahr die Vorarbeiten zur Beseitigung der Schäden trifft. Die Herren Heinrich Paffen und Peter Josef Simons haben ihm lange zur Seite gestanden, bis der Dachboden an der zerstörten Stelle lag, und so ein sicherer Standort geschaffen war. Allmählich schloß sich auch die Dachhaut der Kirche, aber die erste Asphaltlage ließ Wasser durch. Und auch die zweite, wesentlich bessere Qualität, konnte dem Wasser nicht wehren. Lange hat die Kirche mit diesem Provisorium vorlieb nehmen müssen. Dadurch mußte auch die Renovierung im Innern aufgeschoben werden. Wohl gelang es, die Fenster mit Glas abzudichten, sodaß die schreckliche Zugluft endlich aufhörte. Weil anfänglich nicht genügend Glas zu haben war, das die notwendige Stärke hatte, beabsichtigte man, die Fenster mit Betonplatten zu vermauern und einen schmalen Spalt mit Glas zu verkleiden. Auf dies Gerücht hin hat Herr Bischoff Glas in weiß und gelb besorgt.
Nun fehlte der Kitt. Mit Transformatorenöl und ungebrannter Kreide wurde ein kittähnliches Material hergestellt und die Verglasung an der Westseite begonnen. Später kam die Ostseite an die Reihe, die rückwärtigen Chorfenster wurden beiderseits mit Holzfaserplatten zugestellt, da das Glas nicht mehr ausreichte. Wenn auch die Witterungseinflüsse in etwa behoben waren - es blieb in der Kirche in den Wintertagen eisigikalt. Es entstand das geflügelte Wort, es ist nicht zu kalt zum Predigen aber zu kalt um zuzuhören. Brennstoffe standen der Kirche nicht zur Verfügung. Bei regennassem Wetter blieb der obere Teil des linken Seitenschiffes, einschließlich Kommunionbank und Beichtstuhl für die Gläubigen unbenutzbar. Es stellt sich heraus, daß die Erneuerung des Daches unbedingt notwendig geworden war. Aber die Franzosen ließen keinen Schiefer durch und für eine Eindeckung mit Pfannen erschien der Dachstuhl nicht stark genug. Zudem wurde klar, daß die Turmreparatur der des Daches voraufgehen mußte, da die abfallenden Schiefer das neue Kirchendach immerfort beschädigen würden. Dazu benötigte man zuerst Geld. Es wurde bei den verschiedensten Personen vorgesprochen, aber die Sammlung entsprach den Erwartungen nicht. Bei den Sachlieferungen ging es etwas besser. Herr Dovern übernahm es, den Turm in verkupferten Zinkblechen zu decken, die bei den Arbeitern der Stolberger Zinkhütte beschafft werden konnten. Der Turm wurde erst nach dem Tag der Währungsreform 1948 fertig. Und dann wurde das Kirchendach neu erstellt. Unter dem neuen schützenden Dach konnten sich nun auch die Bogen der Gewölbe spannen und der Tempel jenes Kleid anlegen, das der Herrlichkeit Gottes nach der unserer Gemeinde gegebenen Möglichkeiten in etwa entsprach. Die Pliestererarbeiten führte die Firma Offermanns aus unserer Pfarre im Winter 1950/51 durch. Den Anstrich übernahmen die Firmen Vankann und Geusen im Jahre 1952. Er wurde mit kleinen Abweichungen so gehalten, wie er 1938 vom Pastor Backes berichtet: -30- Konservator der Rheinprovinz gebilligt worden war. Herr Josef Gasten entwarf den neuen Eingang mit den Windfängen, Herr Jeandree führte die Arbeit aus. Damit ist eine und wohl die größte Ursache der ständigen Zugluft in der Kirche beseitigt. Die Seiteneingänge an der Männerseite bedürfen aus demselben Grunde der Erneuerung und auch darum, weil ihre Form der Kirche nicht entspricht. -31- Pastor Backes berichtet: Der Wiederaufbau Für die Chorfenster war schon bei der ersten Renovierung (1938) gesammelt worden, da diese sowohl wie die Scheiben des Mittelschiffes keine Kunstwerke darstellten. Nach langem Hin und Her gewann die Idee immer mehr Gestalt, die beiden letzten Glaubensartikel in ihnen zur Darstellung zu bringen, da diese bei vielen Christen ihre Formkraft zum persönlichen Leben verloren haben. Die Gemeinde immer wieder auf das entscheidende Ende aufmerksam zu machen, war die Absicht. Drei Künstler sollten aufgefordert werden und zunächst einmal mit dem Pfarrer ins Gespräch kommen. Zwei haben nicht geantwortet, einer wollte sich an die Arbeit geben. Die Pensionierung nahm dem Pfarrer die Verantwortung und Planung aus der Hand. So konnte er auch den Kriegergedächtnisaltar nicht vollenden. In einem Buch sollten die Namen der Gefallenen eingetragen werden, das in dem Schrein auf dem Seitenaltar einen würdigen Platz finden sollte. Gedacht war, über diesem Altar eine Herz-Jesu- Statue aufzustellen. Professor Edwin Scharff hatte das Modell im Krieg fertiggestellt, und es war durch alle Fährnisse des Krieges hindurch gerettet worden, während die 12 000 Bände starke Bibliothek des Herrn vernichtet wurde. Er siedelte von Düsseldorf nach Hamburg über und mit ihm das Modell. Die hohen Kosten, es in Eichenholz zu erstellen (7.500 DM) ließen leider das Werk nicht zur Vollendung kommen. -32- Pastor Backes berichtet: Der Wiederaufbau Im Pfarrheim (Südstraße 11) war die Nordseite der großen Säle von Granaten getroffen, das Vorderhaus hatte mehr abbekommen. Die Einschußlöcher wurden zugemauert, die Fenster mit Glas abgedichtet, eine Arbeit des Sommers 1945. Ein großer Ofen sollte für die nötige Wärme sorgen, tat es aber nicht, weil der Brennstoff fehlte. Einige Bergleute stifteten etwas für Kirchenchorproben, aber es war nur ein Behelf, zumal der Winter recht kalt war. Zimmer Nr. 1 hatte einen kleineren Ofen, der aber ausreichte und mit weniger Material den Raum erwärmte.
Der Kessel der Heizung war unbrauchbar. Mit der Zivilgemeinde kamen wir überein, den Niederdruckkessel aus der Turnhalle vorerst leihweise aufzustellen, bis er dann schließlich in das Eigentum der Kirchengemeinde überging. Das Zimmer Nr. 4 wurde aufgeteilt, sodaß. die Pfadfinder einen Raum bekamen, den sie sich selber ausstatteten. Das andere diente den Mädchen und dem Arbeiterverein. Im Winter 1953/54 wurden die sanitären Anlagen neu erstellt, das Haus an das Kanalnetz angeschlossen und der Hofraum überdacht. Die Zimmer Nr. 1 und 3 erhielten eine neue Vertäfelung. Erhebliche Mittel sind angewandt worden, hoffentlich weiß vor allem die Jugend das zu würdigen. Das Vorderhaus Südstraße 11 mußte innen und außen gründlich überarbeitet werden. Zunächst auch hier das Dach. Nach und nach kamen die Wohnungen in Ordnung. Das parterre liegende Geschäftslokal (früher Metzgerei) wurde zu einer Wohnung umgebaut. So konnten dort fünf Familien Obdach finden, zumal die Wohnung der ersten Etage nicht durch einen Kaplan bezogen werden konnte, da mehr als ein Kaplan nicht in Aussicht gestellt wurde, der Priestermangel sei zu groß. Die letzte Hand wurde 1954 auch an das Vorderhaus gelegt und das Treppenhaus in Ordnung gebracht. An Stelle des aus Telegrafenmasten gezimmerten Kreuzes, das dort 1946 am Passionssonntag aufgestellt wurde, errichtete die Pfarrgemeinde auf dem Markt ein neues. Nach den Entwürfen des Bildhauers Hein Wimmer ist es aus geschliffener Eifeler Lava hergestellt zum Dank dafür, daß der Naziterror bald aufgehört, die Gemeinde aus dem Stahlgewitter relativ gut herausgekommen ist und zum Zeichen dafür, daß die Gemeinde an der Wahrheit des Kreuzes festhalten wolle, das allein wahren Frieden schenken kann. (Hiermit enden die Berichte unseres verstorbenen Pastor Backes. Sie sind zumeist freudig aufgenommen worden, einige Male wurde ich freundlich gedrängt, wenn die Pausen im Erscheinen der einzelnen Berichte zu lange andauerten. Ich glaube, daß wir dem verstorbenen Pastor dankbar sein dürfen, daß er jene Zeit noch einmal vor unserem Auge aufleben ließ.)