Die 1. Bande der „Bockreiter“
Zu Beginn des 18. Jahrhunderts herrschten in unserer Region Krieg und Unruhen. Die Bevölkerung litt Not, die noch durch durchziehende und plündernde Soldatesken gesteigert wurde. Um diese Zeit rotteten sich Einwohner aus Not und aus Wut zu einer sogenannten Bande zusammen, der "Bockreiterbande". Es hat davon eine erste und eine zweite gegeben. In der Geschichte dieser "Bockreiterbanden" spielten auch Klinkheider eine bemerkenswerte Rolle.
Anfang des 18. Jahrhunderts, zur Zeit des Barocks und Rokoko (J.S. Bach, Joseph Haydn sowie später Wolfgang Amadeus Mozart waren Zeitgenossen der Menschen, von denen hier die Rede sein wird) herrschten in unserem Wohngebiet, das zum damaligen „Land zur Heyden“ gehörte, wie auch im weiteren Umkreis unvorstellbare Zustände. Sehr viele kleine und größere Herzogtümer, Herrlichkeiten, Reichsstätte, Lehen und Unterlehen mit unnatürlichen Grenzverläufen bildeten einen unübersehbaren kartographischen „Flickenteppich“. Gleichzeitig machten Kriege, wie zum Beispiel der Spanisch-Niederländische Krieg, die Region zum Auf- und Durchmarschgebiet für wilde Soldatesken, die die ohnehin schon bitterarme Bevölkerung durch Einquartierugen und Plünderungen noch tiefer ins Elend stieß und die Zukunft immer hoffnungsloser erscheinen ließ. Es gab für so manchen nichts mehr zu verlieren.
In der Hauptsache führten diese Voraussetzungen gegen 1734 mit dazu, dass sich überregional die „Bockreiter“ Bande mit vielen Untergruppen bildete.
Was bedeutet dieser eigenartige Name „Bockreiter“? Wie schon erwähnt, bestand die Bande aus mehreren, teils unabhängig voneinander „arbeitenden“ Gruppen. Das ermöglichte also auch ein gleichzeitiges Zuschlagen an mehreren Orten gleichzeitig. Die zum Teil abergläubischen Leute konnten sich diese Tatsache nur so erklären, dass die Diebe so, wie der Teufel, blitzschnell den Standort wechseln konnten. Und der ritt bekannterweise auf einem Bock durch die Lüfte! Was aber nun haben diese „Bockreiter“ mit Klinkheide zu tun? Ganz einfach: Sechs der ca. 30 Bandenmitglieder kamen aus Klinkheide und spielten nachweisbar bei den unten beschriebenen zwei Überfällen in der näheren Region eine Rolle.
1. Merten Vr. Er war einer der Unterkapitäne der Bande, der stets ein langes Jagdmesser als Bewaffnung im Gürtel stecken hatte. Bei zwei Überfällen, die in Pannesheide bzw. Bank stattfanden, führte er die Bande an. Sein Spitzname war „General von Seckendorf“
2. Frans Vr. Bruder von Merten Vr.
3. Joes Vr. Bruder von Merten Vr.
4. Trijn Mew.
5. Mechtel Mew. Tochter von Trijn Mew. Sie und ihre unten angeführte Schwester trugen bei den Überfällen blaue Männerkittel, um unerkannt zu bleiben.
6. Marie Mew. Tochter von Trijn Mew.
Der Überfall auf das Brauhaus in Pannesheide
An der Pannesheider Straße, schräg gegenüber der Schule, liegt etwas zurückgebaut das alte Brauhaus mit Namen „An de Steegel“. (Der Namensteil „Pannes“ oder „Pannhaus“ ist übrigens die damals übliche Bezeichnung für ein Brauhaus.) Es gehörte 1741, zum Zeitpunkt des Überfalles, einem Herrn Kockelkorn. Die Räuber wurden bei dem gewaltsamen Einbruch von dem Klinkheider Unterkapitän Merten Vr. angeführt. Er stachelte die Bandenmitglieder zu besonders grausamen Vorgehen an. Die Mägde und Knechte –auch Kinder- wurden in gemeinster Weise traktiert, um Geldverstecke zu verraten. Am schlimmsten aber wurden Kockelkorn und seine kranke Frau misshandelt, bis sie endlich das Versteckpreisgeben mussten. Die Beute betrug 40 Reichstaler in bar ( damals ein kleines Vermögen) und unterschiedlichen Sachen im Gegenwert von insgesamt 60 Reichstalern. Nach dem Überfall wurde die Beute aufgeteilt und auf jedes teilnehmende Mitglied entfielen 10 Pattacons, eine für damalige Zeiten beträchtliche Summe. ( Pattacon war vor ca 300 Jahren eine damals gültige, niederländische Münze)
Der Einbruch bei Arret Lütgens in Bank
Auch bei dieser Unternehmung vom 29.Mai 1742 hatte Merten Vr. wieder die Führung unternommen. Nachdem gewaltsam ein Loch in die massive Tür des Hauses gebrochen war, stieg der kleinste Räuber ein und öffnete seinen Genossen von innen die Tür. Arret Lütgens wollte sich nicht ohne Gegenwehr berauben lassen und griff Merten Vr., vulgo „General von Seckendorf“, an. Bei dem Gerangel versetzte der Unterkapitän dem Hausherrn mit seinem Jagdmesser eine tiefe Schnittwunde, die am Arm eine klaffende Wunde hinterließ. Alles Widersetzen brachte keinen Erfolg. Arret Lütgens wurde ausgeraubt. Goldstücke, Schmuck, silberne Gegenstände, Wäsche, Kleider und Speck waren die Beute, aus der jedes teilnehmende Mitglied einen Anteil von 3 Reichstalern in bar ausbezahlt wurde. Bei diesem Überfall, wie auch bei den anderen, standen die beteiligten Frauen den Männern in puncto Gewaltanwendung kaum nach.
Ab 1743 begannen dann vor den zuständigen Rechtsbanken ( Land zur Heyden, Merkstein, Übach, Herzogenrath usw.) unter Beteiligung der Schultheiße und Schöffen die entsprechenden Prozesse, die unter unvorstellbaren Grausamkeiten beim sogenannten „Peinlichen Verhör“ die Delinquenten dazu zwangen, immer mehr Mittäter preiszugeben bzw. Geständnisse abzulegen. In den meisten Fällen wurde dann das damit für die damalige Justiz begründbare Urteil vom Aachener Henker Dillenburg und seinen Henkersknechten durch Auspeitschung oderVollstreckung der Todesstrafe in allen Variationen ( Erhängen, Vierteilen, lebendig verbrennen, Rädern usw.) ausgeführt. Das mussten auch „unsere“ sechs Klinkheiderinnen und Klinkheider über sich ergehen lassen. Kurze Zeit später entwickelte sich dann eine noch schlimmere, zweite Bockreiterperiode, deren Kapitän der berühmte Joseph Kirchhoffs war. Auch hier war ein Klinkheider beteiligt. Sein Name : de Franschman Cornellis.
Heute hat der Karneval den Begriff „Bockreiter“ für sich in Anspruch genommen. Das darf jedoch nicht dazu führen, das unendliche Elend der betroffenen Menschen in Vergessenheit geraten zu lassen.
Als Grundlage für diese Zusammenfassung diente das nur in niederländischer Sprache vorliegende Buch aus dem Jahre 1939: De Geschiedenis der Bokkerijders in’t voormalig land van `s Hertogenrode door Dr. Wilhelm Gierlichs